Wenn man die Prokopiuskirche verlässt, begegnet man beim Heruntergehen einem eindrucksvollen großen Bild, das 4 qm Fläche über dem Portal einnimmt: Es zeigt Christus frontal, mit langem, in der Mitte gescheiteltem Haar und kurzem geteilten Bart. Die Augen sind weit geöffnet, sie blicken ernst und doch gütig.
Bei diesem Bild handelt es sich um den Prototyp der Christusikonen, das den griechischen Titel trägt: "Acheiro-poietos"(nicht mit Händen gemacht). Ein derartiges Bild geht also auf eine Tradition zurück, die eine auf übernatürliche Weise entstandene Urschrift voraussetzt. Dem "Mandylion" (hl. Tuch), wie es auch genannt wird, liegt die Abgarlegende zugrunde: König Abgar von Edessa sehnte sich nach einem Bild des Meisters, als dieser noch auf Erden wandelte und sandte daher einen Maler zu ihm. Dieser Ananias war nicht in der Lage, ein Bild Christi herzustellen, daher drückte der Erlöser sein Antlitz auf wundersame Weise auf der Leinwand ab. Von dem Bild wiederum entstand ein legendärer Abdruck auf einem Ziegel, als es bei der Eroberung von Edessa in einem Ziegelhaufen versteckt wurde, außerdem waren zahlreiche Abschriften in Umlauf.
Edessa war 641 in islamische Hände gefallen. Im Jahre 944 holten die Byzantiner die hochgeschätzte Reliquie aus Edessa heraus, indem sie Druck auf das Kalifat ausübten und übertrugen sie feierlich nach Konstantinopel (Fest am 16. August). Dort wurde die Ikone bei der Einnahme der Stadt durch die lateinischen Kreuzfahrer (1204) verschleppt, zunächst nach Venedig. Zuletzt wurde sie in der Sainte Chapelle in Paris aufbewahrt, wo sie dem Zorn der Französischen Revolution zum Opfer fiel.
Der Anspruch, unter den zahlreichen Kopien das Abgaros-Original zu besitzen, wurde auch immer wieder von verschiedenen Ortskirchen erhoben, z. B. San Silvestro in Rom und San Bartolomeo in Genua. Jedenfalls ist höchst interessant, dass die Feinabmessungen (Gesichtsproportionen) der Abgarbilder mit denen des "Turiner Leichentuches" (nach dem jetzigen Aufbewahrungsort des Sanctum Sudarium in einer Kapelle der Kathedrale von Turin) genau übereinstimmen.
Diese Reliquie unbekannter orientalischer Herkunft wurde 1355 durch Gottfried von Charny der von ihm gestifteten Kirche in Lirey (Diözese Troyes) geschenkt und ist seit 1452 im Besitz der Herzöge von Savoyen.
Über das Abgarbild sagt Paul Claudel:
"Etwas so Erschreckendes und doch wieder Schönes liegt darin, dass man ihm nicht anders entgehen
kann als durch Anbetung" (sc. Christi).
Das 7. Ökumenische Konzil von Nikäa (787) nämlich erklärt: "Je öfters man Christus und die Heiligen in Abbildungenschaut, desto mehr wird der Beschauende zur Erinnerung an die Urbilder und zu deren Nachahmung angeregt, auch dazu, diesen seine Verehrung (timitike proskynesis) zu widmen, aber nicht die eigentliche Anbetung (alithine latreia), welche allein Gott gebührt."
Unsere Kirche besitzt fünf Ikonen des Acheiropoietos-Typos, das in Rede stehende große Bild wurde von Matuschka Marchella Dimitrova geschaffen, eine verkleinerte Version davon schuf sie für den Altarraum der Nektarioskapelle, ein Bild in der Ziegel-Version ist über der Türe des Pfarrhauses (Eingang zur Nektarioskapelle) angebracht und ein weiteres, ebenfalls auf Ziegel gemalt (mit goldenen Haaren), befindet sich im Zwischenstockwerk des Treppenhauses. Diese letzteren stammen aus der Werkstatt des 2001 verstorbenen Ikonenmalers Carolos Fülbier, der diese Darstellung leidenschaftlich oft wiederholt hat und dafür eigens besonders schöne alte Dachziegel zusammensammelte. Ein fünftes Bild dieses Themas findet sich über dem Kerzenverkaufsstand der Nektarioskapelle, es wurde 1984 für uns in Batiktechnik ausgeführt. Das hübsche Gehäuse wurde von Nachbar Thomas Gall geschaffen.